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- Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle)
- Wittwulf Malik - Gedanken zu Dieter Nestlers Hafen-Bilderwelt / Sehen und Hören
- Arne Rautenberg - In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
- Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
- Dieter Nestler - Jalousiebilder
- Dieter Nestler - Wasserspiegelungen
- Dieter Nestler - Container-Bilder
- Dieter Nestler - Werftblöcke
- Dieter Nestler - Werftstücke
- Dieter Nestler - Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“

 


Zeit-Geist und Uhr-Sachen
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In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.

 Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.

Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.

Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.

Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.

Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag - Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.

Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.

Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.

Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.

Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung.

In diesem Sinne sind die Uhr- Sachen von Dieter Nestler Monumente einer

umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.

Hannover, im Januar 2007

Jürgen Schneyder