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- Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle)
- Wittwulf Malik - Gedanken zu Dieter Nestlers Hafen-Bilderwelt / Sehen und Hören
- Arne Rautenberg - In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
- Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
- Dieter Nestler - Jalousiebilder
- Dieter Nestler - Wasserspiegelungen
- Dieter Nestler - Container-Bilder
- Dieter Nestler - Werftblöcke
- Dieter Nestler - Werftstücke
- Dieter Nestler - Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“

 


Kleine Weltreise oder der Hafen als „ Ready Made“
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Mancher meint, die Flügel der Kunst könnten nur im „internationalen Wind“ bewegt werden.

Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?

Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.

Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.

Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.

Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.

Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.

Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!

Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.

Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.

Auf der Wand mit Schablonenschrift

ENOC – UMLC

VDB 2/88 TPP

ANNABA / TRAILER

Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?

Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.

Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?

Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?

Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.

Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!

Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur

 

DIETER NESTLER

HAMBURG